HER YER TAKSIM! HER YER DIRENIS!

Proteste gegen Recep Tayyip Erdogan in Wien am 19. Juni 2014.AntiErdoganVienna0003

Blogbeitrag zu den Fotos (InfoGraz)

„Her yer Taksim! Her yer direnis! – Überall ist Taksim! Überall ist Widerstand!“, so lautete einer der Protestrufe der Großdemonstration gegen den Auftritt Recep Tayyip Erdogans in der Wiener Albert-Schultz Eishalle. Der türkische Premier hatte mit seinem vermeintlichen Privatbesuch nicht nur den Wahlkampf für die kommenden türkischen Präsidentschaftswahlen nach Wien gebracht, wie viele Kritiker und Kritikerinnen meinten. Auch der Geist vom Gezi-Park war mit ihm mitgekommen. Denn während heimische Politikerinnen und Politiker aller Parteien – wenn auch aus unterschiedlichen, teils zweifelhaften Beweggründen – allesamt darum bemüht waren, ihre Besorgnis um eine Spaltung der Gesellschaft durch Erdogans bevorstehender Rede Kund zu tun, zeigte der Protestzug des „Demokratischen Bündnisses gegen Erdogan“ wie sehr eine solche Spaltung durch den „Sultan von Ankara“ bereits vollzogen wurde: nämlich innerhalb der türkischen Gesellschaft und innerhalb der Communities im türkischen Ausland.

Die Erinnerung an die landesweite türkische Protestbewegung gegen den zunehmend autoritären Führungsstiel Erdogans und der AKP, die mit der Besetzung des Istanbuler Gezi-Parks und den massiven Ausschreitungen am angrenzenden Taksim-Platz ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht hatte, wurde während der gesamten Protestaktion am Donnertag Nachmittag hochgehalten. Die Veranstaltung, bei der sich großzügigen Schätzungen zufolge bis zu 12 000 Menschen beteiligten, verstand sich vor allem als unmittelbare Fortsetzung und Solidarisierung mit jener letzten Endes brutalst niedergeschlagenen Bewegung. Wie sehr sich große Teile türkischen Gesellschaft durch die Politik Erdogans mittlerweile ausgegrenzt fühlen zeigte sich an der Vielzahl der teilnehmenden Gruppen. Neben der Präsenz der anwesenden verschiedenen zivilgesellschaftlichen und politischen Vereinigungen, waren es vor allem die Fahnen der zahlreichen türkischen ethnischen und religiösen Minderheiten, die das Bild des Protestzuges prägten. Darunter waren es insbesondere die alevitischen, kurdischen, sowie armenischen Vereine, die der Regierung in Ankara Diskriminierung und Ausgrenzung vorwarfen. Ihr Kampf für Gleichbehandlung und Anerkennung besteht gewiss nicht erst seit den letzten 12 Jahren AKP-Herrschaft, unter dem Hardliner Erdogan jedoch sehen sie die rassistische Tradition des Landes auch im 21. Jahrhundert konsequent fortgesetzt. (Erst vor wenigen Monaten wurde bekannt, dass die seit der Republiksgründung bestehende Praxis, Minderheiten in ihren Ausweisdokumenten mit einem Code zu versehen, nach wie vor angewendet wird). Ein Hauptanliegen der sich beteiligenden politischen, zumeist linksgerichteten, Gruppierungen war die Solidarisierung mit der türkischen Arbeiterschaft, deren Rechte sie als massiv beschnitten sehen. Das in den Ansprachen oft thematisierte Grubenunglück von Soma bezeichneten sie als Konsequenz der Unterdrückung gewerkschaftlicher Forderungen, die mit den allgemeinen Demokratiefeindlichen Tendenzen der letzten Jahre übereinstimmen würden. In den zahlreichen Reden ebenso zum Thema gemacht wurde des weiteren die Kriminalisierung des politischen Widerstandes, die weitgehenden Eingriffe in das Privatleben, wie etwa die zeitweise Sperrung der Socialmedia-Plattformen Youtube und Twitter, aber auch die zunehmende Islamisierung des Landes, oder die mit der streng konservativen Ausrichtung der AKP einhergehende Unterdrückung von Frauenrechten. Ein großer Pool des Unmuts also, der hier seinen Ausdruck fand, gesammelt in einem Protestzug dessen Fahnenmeer wohl um einiges bunter war als jenes der AKP-Veranstaltung: Türkische Fahnen wehten hier neben österreichischen, dazwischen die Regenbogenfahne.

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